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Warum wir in Angstsituationen oft nicht schreien können und was wirklich hilft

Frau in angespannter Körperhaltung mit unsicherem Blick, Symbolbild für Angstreaktion und Erstarren in Gefahrensituationen – Thema: warum viele nicht schreien können und wie gezieltes Training hilft

Viele stellen sich vor, dass sie in einer gefährlichen Situation sofort laut um Hilfe rufen würden. Doch wenn es ernst wird, bleibt die Stimme plötzlich weg. Statt zu schreien, erstarren wir. Kein Laut, keine Bewegung, obwohl der Kopf sagt: “Tu etwas!”.

Diese Reaktion ist kein Zeichen von Schwäche. Sie ist eine tief verankerte Schutzfunktion unseres Nervensystems. Und genau deshalb ist es so wichtig, zu verstehen, warum sie passiert und wie wir handlungsfähig bleiben können.

Wenn der Körper übernimmt

In akuten Stresssituationen übernimmt das autonome Nervensystem die Kontrolle. Es aktiviert uralte Überlebensmechanismen, die in der Forschung als Kampf, Flucht oder Erstarrung beschrieben werden. Besonders Letzteres wird oft unterschätzt. Die sogenannte tonische Immobilität ist eine automatische Reaktion auf extreme Bedrohung. Sie führt dazu, dass Menschen sich nicht mehr bewegen oder äußern können. Das betrifft Erwachsene genauso wie Kinder.

Neurowissenschaftlich betrachtet wird dabei die Verbindung zwischen dem denkenden Teil unseres Gehirns und den tieferliegenden Hirnregionen gestört. Der Körper reagiert reflexhaft, nicht bewusst gesteuert. Studien wie die von Hagenaars, Oitzl und Roelofs (2014) zeigen, dass bei bedrohlichen Reizen oft genau diese Erstarrung eintritt, noch bevor eine bewusste Entscheidung möglich ist.

Warum wir dann nicht schreien können

Sobald der Körper in diesen Zustand übergeht, verändern sich Atmung, Muskelspannung und Stimme. Die Stimme kann versagen oder sich nur noch heiser äußern. Die tonische Immobilität wirkt wie eine innere Blockade. Das Erkennen dieser Reaktion als biologisches Muster hilft dabei, sich selbst besser zu verstehen und gezielt gegenzusteuern.

Viele Betroffene berichten, dass sie nach einer überstandenen Situation von Schuldgefühlen geplagt wurden. Besonders nach Übergriffen ist das häufig: Warum habe ich nichts gesagt? Warum habe ich nicht geschrien? Die Antwort ist schmerzhaft, aber klar: Weil es in diesem Moment körperlich nicht möglich war.

Was wirklich hilft: Gefahr früh erkennen, auf das Bauchgefühl hören und gezielt trainieren

Wenn wir möchten, dass wir in bedrohlichen Situationen handlungsfähig bleiben, dann reicht es nicht, einfach zu hoffen, dass wir im Ernstfall schon irgendwie reagieren. Was wirklich hilft, ist ein Zusammenspiel aus Wissen, Bewusstsein, dem Vertrauen in das eigene Gefühl und gezieltem Training.

Gefahren früh erkennen und potentiell gefährliche Situationen verlassen
Der beste Schutz ist, eine Situation möglichst früh zu erkennen und sich in Sicherheit zu bringen, bevor sie eskaliert. Genau dafür ist unser Bauchgefühl da, dieses warnt uns deutlich. Doch wir ignorieren es leider häufig, aus Höflichkeit, aus Unsicherheit oder weil wir niemandem Unrecht tun wollen. Dabei ist gerade dieses innere Warnsignal ein verlässlicher Begleiter. Kinder, aber auch Teenager und Erwachsene können lernen, dieses Gefühl wahrzunehmen und ernst zu nehmen.

Die eigene Stimme bewusst einsetzen
Sich trauen, laut zu werden und sich bemerkbar zu machen, ist entscheidend. Aber es fällt vielen schwer, besonders wenn sie Angst haben, unangenehm aufzufallen oder falsch verstanden zu werden. Deshalb ist es wichtig, die eigene Stimme bewusst kennenzulernen. Schreien darf geübt werden, genauso wie klare Worte wie Stopp oder Lass mich in Ruhe. Dieses Training stärkt nicht nur die Stimme, sondern auch das Selbstvertrauen.

Sicherheit durch gezielte Übung
Nur durch praktische Erfahrung kann das Nervensystem lernen, in Stressmomenten handlungsfähig zu bleiben. In Selbstbehauptungskursen wird genau das geübt: frühzeitiges Erkennen, klares Auftreten und der Umgang mit innerer Aufregung. Die Universität Zürich zeigte in einer Studie (Thoma et al., 2020), dass gezieltes Training die Reaktionsfähigkeit bei Jugendlichen deutlich verbessert. Aber auch hier gilt, stetiges Üben bringt Sicherheit im Alltag.

Selbstwirksamkeit erleben und festigen
Wenn Kinder oder Erwachsene erleben, dass sie sich schützen oder Hilfe holen können, wächst das Gefühl von Sicherheit. Dieses Gefühl nennt man Selbstwirksamkeit. Es entsteht nicht durch Wissen allein, sondern durch Handlung und Erfahrung, durch kleine Erfolge im Alltag, die zeigen: Ich kann etwas tun. 

Fazit: Sicherheit entsteht durch Klarheit, Vertrauen und Training

In bedrohlichen Situationen handlungsfähig zu bleiben, ist keine Frage von Mut oder Zufall. Es ist das Ergebnis von guter Vorbereitung. Wer lernt, auf das eigene Bauchgefühl zu hören, Warnsignale ernst zu nehmen und sich selbst ernst zu nehmen, kann Gefahrensituationen früher erkennen und rechtzeitig reagieren.

Wer regelmäßig übt, sich deutlich abzugrenzen und die eigene Stimme bewusst einzusetzen, stärkt das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit. Dieses Vertrauen wächst nicht allein durch Theorie, sondern durch Erfahrung und durch Training.

Wissenschaft und Praxis zeigen klar: Menschen, die das Verhalten in Stresssituationen üben, sind im Ernstfall deutlich besser vorbereitet. Sicherheit beginnt im Kopf und wird durch Übung gefestigt.

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